Gebt den Toten Heimrecht – warum man über Verstorbene sprechen sollte

Gebt den Toten Heimrecht! Ein Aufruf, Erinnerungen an Verstorbene mehr in unser Leben zu holen. Indem wir ihre Existenz verschweigen, sterben sie erneut.

Warum „Gebt den Toten Heimrecht“ ein ganz wichtiger Satz meines Lebens ist? Die Antwort liegt in einer für mich sehr prägenden Erfahrung, die ich als junge Frau gemacht habe.

Als ich 21 war, starb vollkommen unerwartet ein lieber Onkel von mir. Er war gerade erst 42 Jahre jung. Davor hatten wir alle um meinen Vater gebangt, der fast 6 Wochen auf der Intensivstation um sein Leben rang. Mein Vater hat es zum Glück geschafft. Demgegenüber war die Lebenszeit meines Onkels leider abgelaufen.

Hierdurch wurde mir schlagartig bewusst, dass es keine vollständige Sicherheit im Leben gibt. Auch wenn wir uns so sehr danach sehnen, es gibt keine Garantie für unser Leben. Immer wieder können auch schmerzhafte Ereignisse eintreten. Ich lernte daraus für mich, dass das Leben seine eigene Gesetzmäßigkeit hat und der Tod ein Bestandteil davon ist.

Wie es leichter wurde den Tod zu akzeptieren

Was ich nie vergessen werde, ist die Trauerrede des Laienpredigers am Grab meines Onkels. Sie hat meinen Umgang mit dem oft tabuisierten Thema Tod sehr geprägt. Ich bin diesem Prediger bis heute dankbar für seine wundervollen Worte.

Die Kernbotschaft seiner Rede lautete:

Gebt den Toten Heimrecht!

Im Grunde genommen ging es darum, wie wir in unserer Gesellschaft mit Verstorbenen umgehen.

Aus Unsicherheit, oder gut gemeinter Rücksicht gegenüber den Hinterbliebenen, reden wir selten über Verstorbene. Dabei gibt es doch so viele Erlebnisse, ob gut oder schlecht, an die wir immer mal wieder erinnert werden. Diese Bilder, Gedanken und Gefühle, sind also schon in uns vorhanden. Raus lassen wir sie aber nur selten, wenn überhaupt. Dabei wäre ein gemeinsames Teilen dieser Erinnerungen so heilsam. Aber lieber schweigen wir und lenken uns schnell ab, sobald unsere Gefühlswelt zu kippen scheint.

Verständlicherweise ist das im ersten Moment auch leichter. Wir wollen uns nicht freiwillig diesem Schmerz aussetzen, der ja kommen könnte. Wir möchten uns schützen, der Unsicherheit des Lebens ausweichen. Doch das Wissen darum brodelt in uns weiter.

Allerdings wird es häufig leichter, gerade wenn wir den Schmerz annehmen. Somit können wir den Verlust besser in unser Leben integrieren. Wir müssen uns nicht anstrengen alles unter Kontrolle zu haben.

Das Schweigen über unsere Verstorbenen ist für mich auch ein bißchen so, als ob dieser Mensch dadurch ein zweites Mal stirbt.

Wie funktioniert das Heimrecht für Tote?

Holt eure lieben Verstorbenen symbolisch zurück in eure Mitte. Sie sind Teil eures Familien-Systems. Oder eures Freunde-Systems.

Und wenn am Sonntag Nachmittag z.B. die Lieblingstorte eures Verstorbenen auf dem Tisch steht, dann sprecht doch einfach laut aus: „Da hätte sich Rolf/Martha/Theo… drüber her gemacht! Wisst ihr noch, wie man sich da immer beeilen musste, um auch noch ein Stück zu bekommen?“.

Schwelgt ein bißchen in der Vergangenheit, lächelt (vielleicht auch wehmütig) und integriert dadurch die Tatsache des Todes in euer Leben.

Wer die Existenz des Todes akzeptiert, tut sich selbst einen großen Gefallen im Leben. Vielleicht sogar den größten….

Damals habe ich all meinen Mut zusammen genommen und immer wieder mit meiner Oma über ihren verstorbenen Sohn gesprochen. Wir haben gelacht und geweint. Ich glaube, es tat uns beiden gut. Meine Oma kann ich dazu nicht mehr befragen. Wohingegen die Erinnerungen an sie nach wie vor ein wertvoller Teil meines Lebens sind.

Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht? Hinterlasse gerne einen Kommentar…

herzlichst-bettina-frauseele

6 Kommentare
  1. Angelika Rappel sagte:

    Ich kann das nur bestätigen. Als unser Sohn Andreas 1998 in Amerika tödlich verunglückt ist, meinten viele um uns herum, nur das Thema nicht ansprechen. Ich empfand das dann so, als würden sie ihn nochmal sterben lassen. Manche scheuen auch heute noch davor, über ihn zu sprechen, mit dem falschen Hintergedanken, uns nicht weh zu tun. Das Gegenteil ist der Fall. Es tut mehr weh, nicht über ihn zu sprechen.

    Antworten
    • FrauSeele sagte:

      Liebe Angelika,
      dein Kommentar berührt mich sehr. Und es ist schön zu lesen, dass du es ebenso empfindest.

      Angst erzeugt „falsche“ Rücksichtnahme.
      Was uns allen helfen kann, ist aufeinander zu zugehen, miteinander zu sprechen, sich nicht zu scheuen.

      Und wir sehen und fühlen bei einem derartigen Verlust ja auch, dass die Lücke, die dieser geliebte Mensch, euer Andreas, hinterlassen hat, nie ganz geschlossen werden kann. Vielleicht auch nicht sollte!
      Also füllen wir diese Lücke mit vielen Erinnerungen, die uns geschenkt wurden.

      Ich umarme dich,
      Bettina

      Antworten
    • Gabriele Hopp sagte:

      Liebe Angelika

      Darf ich dich als „Langzeit-Trauernde“ fragen, wie es dir nach so langer Zeit mit deiner/eurer Trauer geht? Unser Sohn ist vor 16 Monaten tödlich verunglückt und ich bin noch ganz am Anfang. Wobei es mir meistens recht gut geht und ich irgendwie entsetzt bin über mich, das so zu sagen. Vielleicht negiere ich das Unglück auch noch und irgendwann kommt der Zusammenbruch. Aber wir erwähnen unseren Malte immer wieder im Gespräch, so dass ich oft das Gefühl habe, er ist noch da. Er wohnt zwar nicht bei uns, aber irgendwie…. Bin ich normal? Gibt es ein „normal“ in der Trauer? Natürlich nicht….

      So viele Fragen, so viele Gefühle, oft auch Tränen. Aber wenn ich manche trauernde Eltern lese in den sozialen Medien, kommt mir meine Trauer so unbedeutend, so klein vor.

      Liebe Grüße und dir alles Gute
      Gabi

      Antworten
      • Angelika Rappel sagte:

        Liebe Gabi,
        nach der inzwischen doch langen Zeit kann ich sagen, dass der Schmerz nicht mehr so tief geht, das ging in Wellen rauf und runter, aber letztendlich ist es so, als ob Du ein Körperteil verloren hast. Du lernst damit umzugehen, aber es wird immer fehlen. Wir haben an Andreas‘ Geburtstag und an seinem Todestag Rituale, die uns wichtig sind – wir essen gemeinsam mit unserem jüngeren Sohn und seiner Familie, besuchen einen besonderen Erinnerungsort etc.. Ich bewundere es, dass Du so gut damit umgehen kannst, wahrscheinlich gibt Euch Euer Sohn auch entsprechend Energie. Auch wenn der Körper vergangen ist, das Wesentliche, was uns ausmacht, ist unsere Seele und die stirbt ganz sicher nicht. Dazu gibt es ein paar schöne Bücher, die uns streckenweise auch sehr geholfen haben (kann ich Dir bei Bedarf gerne nennen). Und Du hast schon recht, ein Normal gibt es hier ganz sicher nicht – jeder trauert auf seine eigene Weise und niemand hat das Recht, sich darüber ein Urteil zu erlauben. Ich wünsche dir und Deiner Familie ganz viel Kraft und weiterhin das Gefühl für die Anwesenheit von Malte’s Seele.
        Alles Liebe
        Angelika

        Antworten
        • Gabriele Hopp sagte:

          Liebe Angelika,

          vielen Dank für deine liebevolle Antwort. Am Samstag, am Worldwide candle lightning day waren es 17 Monate, dass Malte von uns ging. Die Sehnsucht ist unermesslich. Aber wir werden irgendwie die Zeit bis zum eventuellen Wiedersehen überstehen.

          Ich wünsche euch auch alles, alles Liebe
          Gabi

          Antworten

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